Von der Freiheit eines ChristenmenschenMartin Luther, 1520Einundzwanzigstens. Aber diese Werke müssen nicht in der Überzeugung geschehen, daß der Mensch dadurch vor Gott rechtschaffen werde, weil der Glaube, der die Rechtschaffenheit vor Gott allein ist und bleiben muß, diese falsche Überzeugung nicht dulden kann, sondern nur in der Absicht, den Leib gehorsam zu machen und von seinen bösen Lüsten zu reinigen, und das Auge nur auf die bösen Lüste zu richten, diese auszutreiben. Denn weil die Seele durch den Glauben rein ist und Gott liebt, sähe sie es gerne, daß alle Dinge, vor allem ihr eigener Leib rein wären und jedermann mit ihr Gott liebte und lobte. So kommt es, daß der Mensch um seines eigenen Leibes willen nicht müßig gehen kann und viel gute Werke darüber tun muß, um ihn zu zwingen, und dennoch die Werke nicht das rechte Gut sind, durch das er vor Gott rechtschaffen und gerecht ist; sondern er tue sie umsonst aus freier Liebe, um Gott zu gefallen, ohne etwas anderes darin zu suchen und anzusehen, als daß es Gott so gefällt, um dessentwillen er es gerne aufs allerbeste täte. Daraus kann dann jeder das Maß und die vernünftige Weise entnehmen, in der der Leib in Zucht zu nehmen ist. Denn er hat so viel zu fasten, zu wachen und zu arbeiten, wie erforderlich ist, um den Übermut des Leibes zu dämpfen. Die andern aber, die mit Werken glauben rechtschaffen zu werden, achten nicht auf die Zucht, sondern sehen nur auf die Werke, und meinen, wenn sie nur recht viele und große Werke tun, so sei es gut und sie würden rechtschaffen. Zuweilen verlieren sie darüber den Verstand und zerstören ihre Gesundheit. Das ist eine große Torheit und ein Nichtverstehen des christlichen Lebens und Glaubens, daß sie ohne Glauben durch Werke fromm und selig werden wollen. Zweiundzwanzigstens. Um hierfür einige Gleichnisse zu geben: Man soll die Werke eines Christenmenschen, der durch seinen Glauben und aus lauter Gnade Gottes umsonst gerechtfertigt und selig geworden ist, nicht anders ansehen, als wie die Werke Adams und Evas im Paradies gewesen wären. Darüber steht geschrieben, daß Gott den geschaffenen Menschen ins Paradies setzte, damit er es bearbeiten und hüten sollte. Nun war Adam von Gott rechtschaffen und gut geschaffen, ohne Sünde, so daß er es nicht nötig hatte, durch sein Arbeiten und Hüten rechtschaffen und gerechtfertigt zu werden. Aber damit er nicht müßig ginge, gab ihm Gott etwas zu schaffen, das Paradies zu bepflanzen, zu bebauen und zu bewahren. Und dies wären lauter freie Werke gewesen, die sonst nichts zuliebe getan worden wären als nur Gott zu Gefallen und nicht, um die Rechtschaffenheit zu erlangen, die er schon vorher besaß, und die auch uns allen von Natur angeboren gewesen wäre. So bedarf auch das Werk eines gläubigen Menschen, der durch seinen Glauben wieder ins Paradies gesetzt und neu geschaffen ist, keiner Werke, um rechtschaffen zu werden; sondern ihm sind die freien Werke allein Gott zu Gefallen aufgetragen, damit er nicht müßig gehe. Es ist weiter wie bei einem geweihten Bischof. Wenn der Kirchen weiht, firmelt oder andere Werke seines Amtes ausübt, so machen ihn diese Werke nicht zu einem Bischof. Ja, wenn er nicht vorher zum Bischof geweiht wäre, so hätte keins von diesen Werken einen Wert und sie wären lauter Narrenwerk. So wird auch ein Christ, der, durch den Glauben geweiht, gute Werke tut, durch sie nicht besser oder mehr zu einem Christen geweiht (das geschieht nur durch Mehrung des Glaubens). Ja, wenn er nicht vorher glaubte und ein Christ wäre, so gölten alle seine Werke nichts, sondern wären lauter närrische, sträfliche, verdammenswerte Sünden. Dreiundzwanzigstens. Darum sind die zwei Sprüche wahr: Gute, rechtschaffene Werke machen niemals einen guten, rechtschaffenen Mann, sondern ein guter rechtschaffener Mann macht gute, rechtschaffene Werke. Böse Werke machen niemals einen bösen Mann, sondern ein böser Mann macht böse Werke, so daß allemal die Person zuerst gut und rechtschaffen sein muß vor allen guten Werken, und die guten Werke folgen aus der rechtschaffenen guten Person und gehen aus ihr hervor. So wie Christus sagt: So sind auch die Werke des Menschen: je nachdem es mit ihm im Glauben oder Unglauben steht, sind seine Werke gut oder böse, und nicht umgekehrt, daß er rechtschaffen oder gläubig wäre, je nachdem seine Werke stehen. Die Werke machen nicht gläubig und machen ebenso auch nicht rechtschaffen. Aber so wie der Glaube rechtschaffen macht, macht er auch gute Werke. Machen die Werke also niemand rechtschaffen und muß der Mensch zuerst rechtschaffen sein, ehe er wirkt, so ist's klar, daß allein der Glaube aus lauter Gnade durch Christus und sein Wort die Person zur Genüge rechtschaffen und selig macht, und daß ein Christ kein Werk und kein Gebot zu seiner Seligkeit nötig hat, sondern von allen Geboten frei ist und alles, was er tut, aus lauter Freiheit umsonst tut, nicht um damit seinen Nutzen oder seine Seligkeit zu suchen, denn er ist schon satt und selig durch seinen Glauben und Gottes Gnade, sondern nur um Gott zu gefallen. Vierundzwanzigstens. Umgekehrt ist dem, der ohne Glauben ist, kein gutes Werk zur Rechtschaffenheit und Seligkeit förderlich; andererseits machen ihn keine bösen Werke böse und verdammt, sondern der Unglaube, der die Person und den Baum böse macht, der tut böse und verdammte Werke. Wenn man rechtschaffen oder böse wird, fängt es darum nicht bei den Werken an, sondern bei dem Glauben, wie der weise Mann sagt: Fünfundzwanzigstens. Nach dem allen ist es leicht zu verstehen, inwiefern gute Werke zu verwerfen und nicht zu verwerfen sind, und wie man alle Lehren zu verstehen hat, die gute Werke lehren. Denn wo der falsche Zusatz und die verkehrte Auffassung dabei sind, daß wir durch die Werke rechtschaffen und selig werden wollen, sind sie schon nicht mehr gut und ganz verdammenswert; denn sie sind nicht frei und schmähen die Gnade Gottes, die allein durch den Glauben rechtschaffen und selig macht, und das vermögen die Werke nicht, nehmen sich's aber trotzdem vor und greifen damit der Gnade in ihr Werk und ihre Ehre ein. Darum verwerfen wir die guten Werke nicht um ihrer selbst willen, sondern um dieses bösen Zusatzes und dieser falschen, verkehrten Auffassung willen, die bewirkt, daß sie nur gut erscheinen und doch nicht gut sind; sie betrügen sich und jedermann damit wie die reißenden Wölfe in Schafskleidern. Aber dieser böse Zusatz und diese verkehrte Auffassung sind in den Werken unüberwindlich, wenn der Glaube nicht da ist. Sie müssen in diesen Werkheiligen da sein, bis der Glaube kommt und sie zerstört. Die Natur vermag sie aus eigener Kraft nicht austreiben, ja nicht einmal zu erkennen, sondern sie hält sie für eine köstliche, selige Sache. Darum werden auch so viele dadurch verführt. Obgleich es also wohl gut ist, über Reue, Beichte und Genugtun zu schreiben und zu predigen, ist es doch, wenn man nicht bis zum Glauben fortschreitet, gewiß eine völlig teuflische, verführerische Lehre. Man muß nicht nur das eine Wort Gottes predigen, sondern alle beide. Die Gebote soll man predigen, um die Sünder zu erschrecken und ihre Sünde offenbar zu machen, damit sie Reue empfinden und sich bekehren. Aber dabei soll es nicht bleiben; man muß das andere Wort, die Zusage der Gnade, auch predigen, um den Glauben zu lehren, ohne den die Gebote, die Reue und alles andere vergeblich ist. Es sind wohl noch Prediger übrig geblieben, die die Reue über die Sünde und die Gnade predigen; aber sie heben die Gebote und Zusage Gottes nicht hervor, daß man lernen könnte, woher und wie die Reue und Gnade kommen. Denn die Reue fließt aus den Geboten, der Glaube aus Gottes Zusage, und so wird der Mensch, der durch die Furcht vor Gott gedemütigt und zur Selbsterkenntnis gekommen ist, durch den Glauben an die göttlichen Worte gerechtfertigt und aufgerichtet. Sechsundzwanzigstens. Das sei genug von den Werken im allgemeinen und von denen, die ein Christenmensch seinem eigenen Leib gegenüber üben soll. Nun wollen wir von den weiteren Werken reden, die er gegenüber andern Menschen tut. Denn der Mensch lebt nicht nur in seinem Leib, sondern auch unter andern Menschen auf der Erde. Darum kann er ihnen gegenüber nicht ohne Werke sein; er muß mit ihnen ja zu reden und zu tun haben, wiewohl ihm keins dieser Werke zur Rechtschaffenheit und Seligkeit notwendig ist. Darum soll seine Absicht in allen Werken frei und nur darauf gerichtet sein, daß er damit den andern Leuten diene und nützlich sei, und nichts anderes vor Augen habe, als was den andern notwendig ist. Das heißt dann ein wahrhaftiges Christenleben, und da geht der Glaube mit Lust und Liebe ans Werk, wie Sankt Paulus die Galater lehrt. So auch zu den Philippern; nachdem er sie gelehrt hat, wie sie alle Gnade und Genüge durch ihren Glauben an Christus hätten, lehrt er sie weiter und sagt: Siebenundzwanzigstens. So soll sich ein Christenmensch wie sein Haupt Christus auch voll und ganz an seinem Glauben genügen lassen und ihn immer mehren, der sein Leben, seine Rechtschaffenheit und Seligkeit ist, und der ihm alles gibt, was Christus und Gott haben, wie oben gesagt wurde und Sankt Paul sagt: Achtundzwanzigstens. So lesen wir, daß die Jungfrau Maria nach den sechs Wochen zur Kirche ging und sich nach dem Gesetz reinigen ließ wie alle andern Weiber, obgleich sie nicht wie diese unrein noch zu dieser Reinigung verpflichtet war und sie auch nicht nötig hatte. Aber sie tat es aus freier Liebe, um den andern Weibern keine Verachtung zu bezeigen und in der großen Gemeinschaft zu bleiben. Ebenso ließ Sankt Paul Sankt Timotheus beschneiden, nicht, weil es nötig war, sondern um den glaubensschwachen Juden keinen Anlaß zu bösen Gedanken zu geben, während er Timotheus umgekehrt nicht beschneiden lassen wollte, als man ihn dazu drängen wollte, er müßte beschnitten sein, und das wäre zur Seligkeit notwendig. Auch Christus disputierte, als von seinen Jüngern der Zinspfennig gefordert wurde, ob die Königskinder denn vom Zinsgeben nicht befreit wären, und Sankt Petrus sagte ja. Trotzdem befahl er ihm ans Meer zu gehen und sprach: Neunundzwanzigstens. Hieraus kann jedermann über alle Werke und Gebote ein sicheres Urteil gewinnen und auch unterscheiden lernen, welche die blinden und welches die recht gesinnten Prälaten sind. Denn wenn ein Werk nicht darauf gerichtet ist, dem andern zu dienen oder seinen Willen zu dulden, sofern er nicht zwingt, etwas wider Gott zu tun, so ist es kein gutes christliches Werk. Daher kommt es, daß ich fürchte, wenig Stifter, Kirchen, Klöster, Altäre, Messen und Testamente sind christlich, ebenso wie die Fasten und Gebete, die einigen Heiligen besonders dargebracht werden. Denn ich fürchte, daß in dem allen jeder nur das Seine sucht, in der Meinung, dadurch seine Sünde zu büßen und selig zu werden. Dies alles kommt aus der Unkenntnis des Glaubens und der christlichen Freiheit; und einige blinde Prälaten treiben die Leute dazu und preisen so ein Unwesen, empfehlen es durch Ablässe und lehren den Glauben überhaupt nicht mehr. Ich rate dir aber: Willst du etwas stiften, beten oder fasten, so tu es nicht in der Absicht, dir damit etwas Gutes anzutun, sondern gib es freiwillig hin, daß andere Leute es genießen können, und tu es zu ihrem Besten, dann bist du ein richtiger Christ. Was sollen dir deine Güter und guten Werke, die du übrig hast, deinen Leib zu regieren und zu versorgen, wo du doch genug am Glauben hast, in dem dir Gott alle Dinge gegeben hat? Sieh, so müssen Gottes Güter von einem zu dem andern fließen und allgemein werden, daß sich jeder seines Nächsten so annimmt, als wäre er's selbst. Aus Christus fließen sie uns zu, der sich unser in seinem Leben so angenommen hat, als wäre er das gewesen, was wir sind. Aus uns sollen sie zu denen fließen, die ihrer bedürfen, und zwar so völlig, daß ich auch meinen Glauben und meine Gerechtigkeit für meinen Nächsten vor Gott einsetzen muß, um seine Sünden zu decken, auf mich zu nehmen und nicht anders zu handeln, als wären sie meine eigenen, gerade so wie Christus an uns allen gehandelt hat. Sieh, das ist die Natur der Liebe, wenn sie wahrhaftig ist! Sie ist aber dort wahrhaftig, wo der Glaube wahrhaftig ist. Darum schreibt der heilige Apostel dies der Liebe zu, daß sie nicht das Ihre sucht, sondern das, was des Nächsten ist. Dreißigstens. Aus dem allen folgt der Satz, daß ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten - in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben steigt er über sich hinaus zu Gott; aus Gott steigt er unter sich hinab durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und in der göttlichen Liebe, wie Christus sagt: Siehe, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, die alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde, die gebe uns Gott recht zu verstehen und zu behalten. |