Wiesbaden, März 2002
Christoph Müller
VFH Wiesbaden, FB Polizei
Studiengruppe: 02/2001/01
Matrikelnummer: 015820
Soziologie
Grundstudium 2
Dozentin: Häberle
(Einführungs-)Referat
über das Buch
Gewaltkriminalität
zwischen
Mythos und Realität
Herausgegeben von Günter Albrecht, Otto Backes und Wolfgang Kühnel
Edition Suhrkamp – SV ISBN: 3-518-12222-3
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Hauptteil
Früher war nicht alles besser!
Gewaltkriminalität seit den 1980er Jahren
„Gewalt gegen Ausländer“ wird zu „Gewalt von Ausländern“
Mythen und ihre Folgen
Welche Wirkung hat Strafe?
Das „ptolomäische und das kopernikanische Weltbild“
Gewaltkriminalität in der Polizei und durch die
Polizei
Schluss
Erklärung
Erinnerung an Pierre Bourdieu
Vorwort
Das Buch ist das Ergebnis einer Tagung des Zentrum für interdisziplinäre
Forschung der Universität Bielefeld und dort des Institutes für
interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. In ihm sind die Beiträge
zusammengefasst, die auf dieser Tagung vorgetragen wurden. Allerdings wurden
nicht alle Beiträge der Tagung in das Buch aufgenommen. Es sind 17
Vorträge von insgesamt 19 Autorinnen und Autoren dokumentiert.
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Die einzelnen Kapitel haben eine Länge von 18 bis 52 Seiten, es
sind also auch für den ungeübten Leser durchaus appetitliche
Happen. Jeder Beitrag ist am Ende mit einem ausführlichen Literaturnachweis
versehen. Wer will, kann sich so weiter in die jeweilige Thematik vertiefen
und einarbeiten. Dies soll aber mit diesem Einführungsreferat nicht
geschehen, es beschränkt sich ausschließlich auf die Darstellung
von Beiträgen aus dem Buch. Vorstellen will ich einige Ergebnisse
bzw. Erkenntnisse.
Einleitung
Die öffentliche und politische Diskussion zu Beginn der 1990er
Jahre zu dem Thema Gewaltkriminalität und hier insbesondere auch der
Steigerung der Gewaltkriminalität führte dazu, dass sich auch
Soziologen und Kriminologen mit dem Thema beschäftigten. Dieses Buch
ist eine Folge dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Wichtig ist, was unter dem Begriff „Gewaltkriminalität“ verstanden
wird, der den Überlegungen zugrunde liegt: Gewaltkriminalität
sind hier Delikte, die in der „Polizeilichen Kriminalstatistik“ (PKS) aufgeführt
werden: Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen, Kindstötung, Vergewaltigung,
Raub, räuberische Erpressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer,
Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, gefährliche und
schwere Körperverletzung, Vergiftung, erpresserischer Menschenraub
und Angriff auf den Luftverkehr.
Leichte Körperverletzung, Delikte gegen die persönliche Freiheit
wie Nötigung, Bedrohung und Gewalt gegen Sachen werden nicht berücksichtigt.
Was hier auch nicht berücksichtigt ist in dem Begriff der „Gewaltkriminalität“
ist die Gewaltausübung des Staates, durch Kriege, Bürgerkriege,
Massaker, ethnische Säuberungen und Genozid, ebenso das, was als „strukturelle
Gewalt“ bezeichnet wird. Hier sei schon einmal erwähnt, dass die Gewalt
durch staatlich Institutionen zugenommen hat, während private Gewalt
mehr und mehr zurückgeht.
Mythos zu definieren ist schwierig, ich will es aber doch versuchen:
Mythos entsteht dann, wenn der Mensch von einer Sachen kein ausreichendes
Wissen bzw. keine ausreichende Erkenntnis hat, die Sache aber für
sein Leben von Bedeutung ist und er sich eine Vorstellung von dem Unbekannten
machen muss, um in seiner Umwelt zu bestehen, weil er auf „unbekanntem“
Territorium agieren will.
Nun will ich zu einigen Befunden aus dem Buch kommen.
Hauptteil
Früher war nicht alles besser!
Ein Beitrag beschäftigt sich mit der Entwicklung der Tötungsdelikt
seit dem 12. Jahrhundert im europäischen Raum. Es zeigt sich, dass
die Homizidrate sich seit dem 12. Jahrhundert bis in die Mitte des 20.
Jahrhunderts kontinuierlich abgesenkt hat. Selbst über lokale Besonderheiten
hinaus bleibt dieserTrend bestehen. Er verläuft nicht immer kontinuierlich,
er ist Schwankungen auch nach oben unterworfen, doch auf langfristige,
historische Sicht ergibt sich diese Entwicklung.
So lag die ermittelte Homizidrate im 12./13. Jahrhundert bei ca. 80
bis 100 pro 100.000 Einwohner. Bis in die 1950er Jahre senkte sich die
Rate auf unter ein Tötungsdelikt pro 100.000 Einwohner ab. Seit dem
ist ein leichter Anstieg auf wieder etwas über mehr als eins zu verzeichnen.
Erklärt wird diese Entwicklung mit einer einhergehenden Zivilisierung
von Staaten und Gesellschaften und der Individualisierung der persönlichen
Lebensgesaltung des Einzelnen. Das sich mit der Zeit entwickelnde Gewaltmonopol
des Staates ist anerkanntermaßen eine Voraussetzung für die
Zivilisierung der Gesellschaft, ebenso wie die Entwicklung der Rechtstaatlichkeit.
Es wird angeführt, dass die verstärkte Möglichkeit des
einzelnen sich aus kollektiven Vorgaben und Zwängen zu befreien und
sein Leben individuel selbst zu gestalten eine Ursache für die Senkung
der Homizidrate darstellt.
Dies wird mit einem Längsschnittvergleich über den genannten
Zeitraum für die Region Europa belegt. Bestätigt wird die Individualisierungsthese
auch durch den Vergleich von Querschnittstudien und verschiedenen Regionen
der Erde.
So zeigt sich, dass in den angeblich so sanftmütigen Länder
Asiens die Homizidrate noch erheblich höher ist, nämlich zwischen
ca. 3 bis 20 pro 100.000 Einwohner, als in den europäischen Staaten.
Dies wird mit einem noch höheren Grad an kollektivistischen Einstellungen
erklärt und einer noch nicht so ausgeprägten gesellschaftlichen
Individualisierung.
Der wieder leichte Anstieg der Homizidrate in Europa seit den 1950er
Jahren wird damit erklärt, dass die gesellschaftliche Individualisierung
ein Maß erreicht hat, an dem sich soziale Strukturen oder Organisationen
auflösen bzw. schwächer werden. Der oder die Einzelne muss sein
bzw. ihr Leben selbst organisieren und bestimmen. Vorgegebenen Biographien
verschwinden.
Es geht dadurch Orientierung in der Lebensplanung und Lebensgestaltung
verloren. Misserfolge können nicht mehr den Lebensumständen angelastet
werden, sondern müssen als individuelles Versagen interpretiert werden,
auch wenn die Ursachen garnicht bei der Person selbst liegen, sondern immer
noch an den gesellschaftlichen Strukturen. Dies führt zu Verunsicherung
und Ängsten.
Gewaltkriminalität seit den 1980er Jahren
"Gewalt gegen Ausländer" wird zu
"Gewalt von Ausländern"
Wie bereits erwähnt, gab es eine öffentliche, politische Diskussion
über eine Steigerung der Gewaltkriminalität seit den 1980er Jahren.
Die tatsächlich zu beziffernde Steigerung ist aber nicht so dramatisch
wie in der öffentlichen Debatte und in den Medien dargestellt.
Die Steigerung der Gewaltkriminalität ist nicht auf Deutschland
begrenzt, sie ist in allen westlichen Gesellschaften festzustellen. Die
Steigerung ist nicht gleichmäßig auf alle gesellschaftlichen
Gruppe verteilt, sondern ist nahezu ausschließlich ein Steigerung
in der Gruppe der „jungen Menschen“, insbesondere der „männlichen
Jugendlichen“.
Höhepunkt der öffentlichen Beachtung waren die fremdenfeindlichen
Anschläge Anfang der 1990er Jahre. Erwähnt werden muss hier ausdrücklich,
dass es sich um Gewaltkriminalität gegen Ausländer handelte.
Die folgende öffentliche Debatte aber meist mit der Überschrift
„Gewaltkriminalität von Ausländern“ geführt wurde.
Welche Prozesse zu diesem Wandlung der öffentlichen Diskussion
und Wahrnehmung geführt haben und welcher Zweck damit verbunden war,
soll und kann hier nicht beantwortet werden.
Drei Punkte will ich hier nennen, die u. a. zu der Verzerrungen der
Kriminalstatistik, zu der vermeintlichen Steigerung bei den „ausländischen
Tatverdächtigen“ geführt haben:
1. die zugrundegelegte Bevölkerungszahl
Die Tatverdächtigtenbelastungsziffer errechnet sich aus der Anzahl
der ermittelten Tatverdächtigen, multpliziert mit Faktor 100.000,
geteilt durch die Bevölkerungszahl bzw. die Größe der Vergleichgruppe.
TVBZ = TV x 100.000
Bevölkerungszahl.
Bei der Bevölkerungszahl wird die amtliche Meldestatistik zugrunde
gelegt. Es werde also die amtlich gemeldeten Personen erfasst.
Der Anteil der nicht amtlich gemeldeten, nicht-deutschen Tatverdächtigen
lag z. B. in Bayern im Jahr 1983 bei 49,5%, im Jahr 1995 sogar bei 53,5%.
Schätzungen des BKA für das Jahr 1996 nehmen bundesweit einen
Prozentsatz von 30 bis 40% dafür an. Dies führt natürlich
zu einer nahezu Verdopplung der Tatverdächtigenbelastungsziffer bei
der nicht-deutschen Bevölkerungsgruppe im Vergleich zu deutschen..
2. Anzeigeverhalten gegen „Nicht-Deutsche“
Es ist festgestellt worden, dass sich die Anzeigebereitschaft erhöht,
wenn Fehlverhalten bei einer anderen ethnischen Bevölkerungsgruppe
festgestellt wird, diejenigen die als „fremd“ empfunden werden, werden
öfters angezeigt, als Personen aus der eigenen Ethnie/Bevölkerungsgruppe.
Treten ethnische Minderheiten offener und häufiger öffentlich
in Erscheinung, werden auch staatlichen Institutionen häufiger zur
Konfliktbewältigung in Anspruch genommen. Anfang der 1990er Jahre
kam es durch politische Ereignisse zu einem starken Zuzug u. a. von Bürgerkriegsflüchtlingen.
3. Anzeigen und Verurteilungen auch geringerer Delikte
Weiter zeigte sich, dass Anzeigen und Aburteilungen aufgrund immer
geringer Deliktsschwere erfolgten, insbesondere bei „nicht-deutschen Tatverdächtigen“,
gemeint sind Raubdelikte mit einem Schaden unter 25,- DM und Körperverletzungen,
bei denen keine ärztliche Behandlung erforderlich war.
Interessant ist der Vergleich zwischen „ausländischen Jugendlichen,
Aussiedlern und vergleichbaren deutschen Jugendlichen.
Es zeigt sich, das die Staatsangehörigkeit und die Herkunft keinerlei
Zusammenhang zur Kriminalitätsrate haben. Neben der bereits erwähnten
individualistischen bzw. kollektivistischen Werteeinstellung spielen hier
ein Rolle, wie die Chancen einer sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe
eingeschätzt werden.
Eingeteilt einerseits zwischen individualistischer und kollektivistischer
Wertorientierung sowie der Einschätzung der sozialen Teilhabechancen
ergeben sich vier unterschiedliche Integrationsformen: Assimilation, Inklusion,
Exklusion und Separation.
Diese haben unterschiedlichen Einfluss auf die Kriminalitätsrate.
Assimilation und Inklusion zeigen bei allen drei Gruppen die geringsten
Raten, also bei guten Chancen der sozialen Teilhabe. Die hier noch sichtbaren
Unterschiede zwischen den drei Gruppen verschwinden bei genauerer Betrachtung
von zusätzlichen Variablen.
Bestimmender für die Anwendung von Gewalt sind ganz andere Faktoren:
1. Drogenkonsum,
2. (eigene) Opfererfahrungen,
3. Alkoholkonsum,
4. Gewalt durch Eltern,
5. eine gemeinsame Clique mit gemeinsamen Aktionen.
Zitat:
„Die Ergebnisse machen darauf aufmerksam, dass die subjektiv
wahrgenommenen Chancen sozialer Teilhabe im Hinblick auf Schule, Ausbildung,
Verwaltung und Politik wichtige Bedingungen für eine erfolgreichen
Integration in die Aufnahmegesellschaft sind. Und sie lassen weiterhin
den Schluss zu, dass die sozialen Bedingungen offensichtlich wirkungsmächtiger
sind als die vielfach hervorgehobenen kulturellen Unterschiede in den Handlungsorientierungen.
Insofern dürften sich Integrationsmaßnahmen, die Lebenschancen
ermöglichen und auf eine Verbesserung von Lebenslagen zielen, als
präventive Faktoren gegenüber Gewaltkriminalität erweisen.
Dies gilt im übrigen nicht nur für Aussiedler und „Ausländer“,
sondern genauso für einheimische Deutsche in vergleichbarer sozialer
Lage.“
Mythen und ihre Folgen
Das richtige Wissen und Erkennen der Ursachen von Kriminalität
im Allgemeinen und Gewaltkriminaität im Besonderen ist für Maßnahmen
der Eindämmung natürlich die Grundvoraussetzung. Es ist aber
auch so, dass mehr oder weniger falsche Ansichten, zu Reaktionen oder Maßnahmen
gegen dieses Phänomen führen.
Gerade in der Politik sind es oft nur symbolische Gesten, die von der
wahren Ursache des Problems ablenken sollen. Zum einen weil „wirkliche
Problemlösungen nicht durchsetzbar sind oder unübersehbare Folgeprobleme
auslösen“. Der Bevölkerung soll Handlungsfähigkeit und Handlungswille
vorgegaukelt werden, um ihr so genanntes „subjektive Sicherheitsgefühl“
zu befriedigen.
Wir sollten uns bewusst sein, dass auch der Ruf nach einer besseren
Ausstattung von Polizei- und Justizapparat eine Ablenkung von den Ursachen
der Gewaltkriminalität ist, wenn sie in einem bestimmten Zusammenhang
erhoben wird, so berechtigt die Forderung auch sein mag. Ebenso verhält
es sich mit der immer wieder erhobenen Forderung nach härteren Strafen.
Das, was als Kriminalitätsfurcht oder subjektives Sicherheitsgefühl
bezeichnert wird, war bis Anfang der 1990er Jahre vollkommen unbedeutend,
die Bürger fühlten sich sicher. Eine Studie einer Versicherung
zeigt auf, dass die Kriminalitätsfurcht eher abgenommen hat und die
öffentliche Diskussion dieses Phänomen überbewertet.
Das die Diskussion darüber immer wieder angeheizt wird, mag daran
liegen, dass die Medien die Kriminalberichterstattung entdeckt haben und
sich gut damit verdienen lässt, „Crime pays“. Ein anderer Punkt ist,
dass sich andere soziale Ängste, die der Umbruch der Wiedervereinigung
mit sich gebracht hat, auf die Kriminalität umlenken lassen und über
die Kriminalität hinaus auf bestimmte Personengruppen.
Da die Kriminalitätsrate sich nicht dramatisch verändert,
dient die Debatte über Kriminalitätsfurcht und subjektives Sicherheitsgefühl
mehr und mehr zur Begründung von politischen und polizeilichem Handeln.
Welche Wirkung hat Strafe?
Das „ptolomäische und das kopernikanische Weltbild“
Die Auseinandersetzung, was Strafe nützt und ob Strafe präventiv
wirksam ist, ähnelt der Diskussion die vor „einigen“ Jahre geführt
wurde betreffend das „ptolomäische Weltbild“ und das „kopernikanische
Weltbild“.
Zur Erinnerung: Zurzeit des Ptolomäus glaubten die Menschen noch
die Erde sein ein Scheibe. Erst durch Kopernikus wurde die Erde zu einer
Kugel.
So ist es auch mit der Ansicht, man könne durch Strafe erziehen
und Menschen, insbesondere Jugendliche zu einen besseren Leben bringen.
Besser als Strafe sind Maßnahmen, die die Defizite in der Persönlichkeitsentwicklung
ausgleichen, die soziale Kompetenz erhöhen, das Selbstvertrauen und
das Selbstwertgefühl stabilisieren.
Jugendliche die oft durch eigenen Gewalt- oder Opfererfahrungen geprägt
sind, sehen die verhängte Strafe, teilweise sogar als Bestätigung
des Prinzips „des Rechtes des Stärkeren“. In der Wissenschaft gilt
es mittlerweile als unbestritten, dass Freiheitsstrafen bei Jugendlichen
keine positiven Wirkungen zeigen, sondern eher negative in Hinblick auf
die weitere Enwicklung eines Jugendlichen.
Jugendliche in so genannten stationären Erziehungmaßnahmen,
d. h. freiheitsentziehenden Maßnahmen, wie Jugendstrafen und Jugendarrest
zeigten die höchsten Rückfallquoten von bis zum 80%. Das gleiche
gilt für die geschlossene Heimerziehung, die Anfang der 1970er abgeschafft
wurde, aber zurzeit wieder in der Diskussion ist. Die Kosten für stationäre
Maßnahmen belaufen sich auf 230 € (450,- DM) pro Tag und Person.
Auch wirkt sich eine gemachte Feststellung negativ aus. Jugendliche
orientieren sich in einer Gruppe meist an den „schlechten Vorbildern“ innerhalb
einer Gruppe, d. h. an den am meisten delinquenten Personen. Aus diesem
Grund sind Einzelmaßnahmen auch erfolgversprechender als Maßnahmen,
die in einer Gruppen von delinquenten Jugendlichen durchgeführt werden.
Auch Forderungen nach einer Verschärfungen der Strafandrohung haben
genauso keine gewaltverhindernde Wirkung. Maßnahmen, wie die Strafverschärfung,
werden oft gefordert, um möglichst schnell Handlungswille zu zeigen
oder Handlungsfähigkeit zu beweisen
Die Aussagen über die Wirkung von Strafen bedeutet nicht, dass
Gesetzesverstöße nicht mit den zur Verfügung stehenden
Mitteln erforscht werden müssen, ggf. auch mit den erforderlichen
Zwangsmitteln.
Am Ende nun noch ein sehr wichtiges Thema:
Gewaltkriminalität in der Polizei und durch die Polizei
Der Hamburger Polizeiskandal 1994 wurde zum Anlass genommen zu untersuchen,
wie es den schweren physischen Übergriffen bis hin zu Scheinhinrichtungen
durch Polizeibeamten kommen konnte und welche Strukturen dem förderlich
waren. Es wurden im Gegensatz zu den Strafverfahren, in denen auf die individuelle
Schuld des einzelnen Beamten oder der Beamtin abgestellt wurde, Bedingungen
festgestellt, die in der Organisation ursächlich vorhanden waren.
In der Untersuchung wurden vier Risikokonstellationen herausgearbeitet:
1. die Einstellungen der Polizeibeamten,
2. geringe Bereitschaft Straftaten von Kollegen oder Kolleginnen anzuzeigen,
3. das Verhältnis zur Polizeiführung,
4. das Verhältnis zur Justiz.
Einige Punkte will ich herausgreifen und erwähnen:
zu Punkt 1 – die Einstellungen der Polizeibeamten:
-
für 98,2 % war ein „gutes Betriebsklima“ wichtig für die Berufszufriedenheit,
-
eine hohe Aufklärungsquote und ein Rückgang der Kriminalität
war dagegen nur für 49,7 bzw. 47,1% der Beamten und Beamtinnen wichtig
für die Berufszufriedenheit,
-
das Deutschland kein Einwanderungsland sei und der Zuzug von Ausländer
begrenzt werden sollte, meinten 52,6% der Beamten und Beamtinnen,
-
52,5% meinten, Ausländer sollten sich stärker in unsere Gesellschaft
integrieren,
-
29,4% waren der Ansicht, dass Ausländer immer mehr billigen Wohnraum
besetzten, der Deutschen fehlte,
-
und dass sie sich immer mehr breit machen würden, und man ihnen zeigen
muss, wer Herr im Haus ist, meinten 17,4%
-
dass Deutschland wieder eine starke Hand brauche, meinten 47,8% der Beamten
und Beamtinnen,
-
immerhin 60,9% waren der Ansicht, dass wer sich nicht einfügen will,
Deutschland wieder verlassen sollte,
-
56,5% sehen in der (damals) hohen Asylbewerberzahl ein soziale Bedrohung,
-
das Ziel, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, wurde von 54% als wichtig
und von 36% als sehr wichtig bezeichnet,
-
54% meinten, Kriminalität von Ausländern würde nicht genug
bekämpft,
-
an die kriminalitätsssenkende Wirkung von härteren Strafen glaubten
59% der Beamten und Beamtinnen.
zu Punkt 2 – „Anzeigebereitschaft“:
-
67% bejahten die Anzeigepflicht gegen einen Kollegen oder eine Kollegin,
allerdings wollten 59% davon die Anzeige von den Einsatzbedingungen abhängig
machen,
-
88% würden es vorziehen dem Kollegen/der Kollegin das Fehlverhalten
„unter vier Augen“ vorzuhalten,
-
oder es in der Schicht zu besprechen, 68%, die Einleitung eines staatsanwaltlichen
Ermittlungsverfahren wurde dann nicht mehr als erforderlich angesehen.
zu Punkt 3 – Verhältnis zur Polizeiführung:
Das Verhältnis zur polizeilichen Führung wird als distanziert
und abgehoben empfunden. Die Beamtinnen und Beamten fühlen sich häufig
alleine gelassen. Unklare, unbestimmte Anweisungen sind für tatsächliches
Handeln als Handlungsanweisung ungeeignet, sie werden nur als „Absicherungen“
für die polizeiliche und politische Führung angesehen.
Dies erschwert wiederum der polizeilichen und politischen Führung
tatsächlich auf das Handeln der Beamten und Beamtinnen Einfluss zu
nehmen und die Befolgung von Anweisungen zu kontrollieren und auch ggf.
zu sanktionieren.
zu Punkt 4 – Verhältnis zur Justiz:
-
aufgrund mangelnder Rückmeldungen der Staatsanwaltschaft über
den Ausgang von Strafverfahren wird von 38% die Zusamenarbeit und das Verhältnis
als schlecht bis sehr schlecht bezeichnet,
-
50 % warfen der Staatsanwaltschaft vor, die Polizeiarbeit zu konterkarieren,
-
viele Beamten und Beamtinnen meinen aus dem Verdacht einer Straftat könne
schon auf die Schuld des Täters geschlossen werden,
-
in diesem Zusammenhang plädierten 17,2 % für den Abbau von Beschuldigtenrechten
und
-
28,4 % für den Ausbau von Verdachtsstrafen,
-
eine Mehrheit vertrat die Ansicht, dass in Deutschland nur noch die Polizei
gefährliche, kriminelle Tendenzen bekämpfen könne, ansonsten
„würden kriminelle Ausländer uns die Haare vom Kopf fressen“.
Wenn mangelndes Vertrauen in die Justiz und die Gewaltenteilung, mit der
Ansicht zusammen kommt nur noch die Polizei könne Kriminalität
eindämmen, Ausländer seien eine Bedrohung und mit harten Strafen
könne man Kriminalität verhindern und das „Entdeckungsrisiko“
aufgrund geringer Anzeigenbereitschaft niedrig ist, kann es leicht zu den
Vorfällen kommen, die in der Öffentlichkeit bekannt wurden.
Möglichkeiten dem entgegen zu wirken werden in dem Buch auch beschrieben,
neben Fortbildung und psychologischer Schulung, sei noch genannt, die Schaffung
eines unabhängigen, außerhalb der Polizei angesiedelten Ombudsmannes
für Bürgerbeschwerden. Gute Erfahrungen in Australien mit der
Einrichtung von Ombudsmännern oder Ombudsfrauen werden in einem eigenen
Kapitel des Buches darstellt.
Schluss
Zum Schluss noch ein Zitat zum Verhältnis zwischen wissenschaftlicher
Theorie und Praxis: „... doch zeigt sich bei näherer Betrachtung,
dass dieses Wissen v. a. destruktives Wissen war, insofern es die <pragmatischen
Theorien> und die von der Praxis unhinterfragten Vorwegnahmen über
abweichendes Verhalten und über das Handeln der Praktiker in Zweifel
stellte bzw. widerlegte. Anwendung fand dieses wissenschaftliche Wissen
aus naheliegenden Gründen indes selten. Sie hätte einen Bruch
mit einem bisherigen beruflichen Selbstverständnis, die Reflexion
der manifesten und latenten Funktionen des eigenen beruflichen Handelns,
die Veränderung einer tradierten und scheinbar unabänderlichen
Praxis erfordert. Es liegt auf der Hand, dass derartiges Wissen meist entweder
gar nicht zur Kenntnis genommen und/oder durch Immunisierungsstrategien
als ungeeignet zurückgewiesen wird.“
Bevor ich nun endgültig zum Ende komme, möchte ich noch an
Pierre Bourdieu erinnern, einen französischen Soziologe, der am 24.
Januar verstorben ist.
Diejenigen, die mein Referat noch einmal nachlesen wollen, können
es auch im Internet abrufen unter der Adresse: http://SoziG2.Christoph7.com.
Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit.
-Ende-
Ich erkläre, dass ich dieses Referat selbstständig und
ohne fremde Hilfe erstellt habe. Zitate sind besonders gekennzeichnet.
Wiesbaden, 18. März 2002
Christoph Müller
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